Wer ist dafür verant­wortlich, dass gutes nicht im Müll landet? Scroll Down

Anne Hildebrand (METRO AG) und Raphael Fellmer (SirPlus) verfolgen beide das gleiche Ziel: Sie wollen die Lebensmittelverschwendung deutlich verringern und das Retten überschüssiger Lebensmittel gesellschaftsfähig machen.

Anne Hildebrand unterhält sich mit Raphael Fellmer an einem See im Wald (Foto)

W Weltweit landet ein Drittel aller Lebensmittel im Müll. Allein in Deutschland entsorgen Landwirtschaft, Industrie, Handel, Gastronomie und Privathaushalte jährlich rund 18 Millionen Tonnen. Zum Beispiel weil zu viel produziert wurde, die Form nicht der Norm entspricht, das Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist oder die Portion auf dem Teller größer als der Hunger war.

In den meisten Fällen landen Lebensmittel im Müll, obwohl sie noch genießbar sind. Die größten Lebensmittelverschwender sind übrigens die Verbraucher. Pro Jahr wirft jeder Bundesbürger – laut einer Studie der Universität Stuttgart – durchschnittlich 82 Kilo an Lebensmitteln weg. Das entspricht 2 vollbeladenen Einkaufswagen.

Doch warum ist das so? Und wie lässt sich das Problem eindämmen? Raphael Fellmer, Lebensmittelretter und Mitgründer von SirPlus, und Anne Hildebrand, Head of Corporate Responsibility bei der METRO AG, haben sich zum Herbstspaziergang an der Krummen Lanke in Berlin getroffen und sich über das Thema ausgetauscht.

Blätter spiegeln sich im Wasser (Foto)
Anne Hildebrand, Head of Corporate Responsibility (Foto)

DIE BEHARRLICHE

Anne Hildebrand arbeitet seit 10 Jahren bei METRO. Als Head of Corporate Responsibility treibt sie die Reduzierung von Lebensmittelabfällen im Unternehmen sowie auf nationaler und europäischer Ebene voran – als Mitglied in politischen Gremien und Arbeitsgruppen.

Herr Fellmer, Frau Hildebrand, warum werfen wir Lebensmittel weg?

RF Lebensmittelverschwendung fängt schon bei den Produzenten an und endet bei uns Verbrauchern. Viele haben die Wertschätzung für Lebensmittel verloren. Wir wollen kurz vor Ladenschluss noch unser Lieblingsbrot kaufen und für alle Gefühlsmomente den richtigen Snack zu Hause haben. Wenn man dann beim Stöbern im Kühlschrank entdeckt, dass das Haltbarkeitsdatum abgelaufen ist, landet der ungeöffnete Joghurt bei einem Drittel der Deutschen im Müll.

AH Das Thema Wertschätzung ist in der Tat ein ganz wichtiges. Vielen Menschen ist nicht bewusst, wie viele Ressourcen in der Herstellung von Lebensmitteln stecken. Und viele trauen sich nicht mehr, zu bewerten, ob der besagte Joghurt noch gut ist. Man verlässt sich nur auf das Ablaufdatum. Dabei sind die meisten Lebensmittel danach noch genießbar.

Wie können Wirtschaft und Gesellschaft gegensteuern?

AH Wir müssen die Einstellung gegenüber Lebensmitteln ändern. Auch in der Gastronomie. Viele Restaurants und Imbisse werfen noch zu viel weg. Als METRO bieten wir vielerorts Schulungen an. In Restaurants bleibt außerdem viel auf dem Teller liegen. Hier haben viele METRO Länder mit der Neuerfindung des Doggy Bag ein Angebot geschaffen, das es salonfähig macht, sich Reste einpacken zu lassen.

RF Genau. Lebensmittel retten muss cool werden. Überschüsse und Reste sind keine Lebensmittel zweiter Klasse! Diese Botschaft muss in der Gesellschaft ankommen und deswegen werden wir mit SirPlus das Lebensmittelretten zum Mainstream machen. Wir müssen schon bei den Kindern anfangen und auch später die Menschen immer wieder abholen, damit sie ihr Verhalten ändern.

ALS HANDELS­UNTER­NEHMEN WOLLEN WIR LEBENS­MITTEL VERKAUFEN UND NICHT WEG­WERFEN. ANNE
HILDEBRAND
Anne Hildebrand und Raphael Fellmer bei einer Stärkung zwischendurch (Foto)
Anne Hildebrand und Raphael Fellmer unterhalten sich auf einem Balkon (Foto)

Welchen Beitrag leistet METRO noch?

AH Auch wenn es banal klingt: Als Handelsunternehmen wollen wir Lebensmittel verkaufen und nicht wegwerfen. Deshalb verbessern wir ständig unsere Prozesse. Unser Ziel ist es, Lebensmittelabfälle in unserem Geschäftsbetrieb bis 2025 um 50 % zu reduzieren.

RF Das ist sehr ambitioniert. Ich bin froh, dass METRO hier beispielhaft vorangeht. Als Kooperationspartner helfen wir gerne, dieses Ziel zu erreichen, indem wir Überschüsse abnehmen, die nicht an die Tafeln gehen, und sie verantwortungsvoll wieder in den Kreislauf bringen.

AH Das ist ein wichtiger Punkt. Wir geben etwa die Hälfte unserer Lebensmittelüberschüsse an die Tafeln. Aber die können nicht alles annehmen. Sie unterliegen denselben gesetzlichen Vorgaben wie wir Händler. Wenn das Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist, geht die Produkthaftung auf uns über. SirPlus hatte die Idee und den Mut, in diese Lücke zu springen. Denn damit lassen sich Lebensmittelabfälle weiter reduzieren.

Anne Hildebrand und Raphael Fellmer bei einem Waldspaziergang (Foto)
Raphael Fellmer (Foto)

DER VORREITER

Raphael Fellmer rettet seit 2009 Lebensmittel. Er reiste ohne Geld um die Welt, lebte 5 Jahre im Geldstreik, initiierte die Foodsharing-Bewegung und gründete 2017 mit 2 Freunden SirPlus. Das Berliner Start-up verkauft überschüssige Lebensmittel zu günstigen Preisen im Laden und online. Die Waren erhält es von Partnern aus Landwirtschaft und Handel.

Was macht das Besondere von SirPlus aus?

RF Wir wollen das Retten von Lebensmitteln in die Mitte der Gesellschaft holen und das Stigma durchbrechen, wonach abgelaufene oder überschüssige Lebensmittel schlecht seien. Deshalb bieten wir diese Waren bei SirPlus an. Wir sind bereit, dafür das Risiko der Produkthaftung zu übernehmen. Natürlich weisen wir auf das abgelaufene Haltbarkeitsdatum hin. Und wir führen regelmäßig Stichproben durch, ob die Lebensmittel tatsächlich noch gut sind.

WIR MÜSSEN LEBENS­MITTEL WIEDER WERT­SCHÄTZEN. Raphael
Fellmer
Fingerfood (Foto)
Wald (Foto)

Wie gehen Sie privat mit Lebensmitteln um?

RF Mich hat 2009 ein Film über Menschen wachgerüttelt, die noch genießbare Lebensmittel aus dem Müll holen. Seitdem engagiere ich mich und ich ernähre mich sehr bewusst. Wir kochen vegan und viel mit überschüssigen Lebensmitteln. Es gibt ein gutes Gefühl, wenn man Gutes vor der Tonne gerettet hat.

AH Bei mir war der Kühlschrank früher immer voll – auch aus Angst, am Wochenende nichts dazuhaben. Jetzt kaufe ich anders ein. Lebensmittel wegwerfen gibt es bei mir nicht mehr.

Mehr Informationen zum Thema bietet die Publikation Corporate Responsibility 2016/17 Kompakt: WWW.METROAG.DE/CR-KOMPAKT-2016-17